Früher wiesen Unternehmer Arbeitnehmer konkrete Arbeitsaufgaben an, so sieht es das Gesetz in §106 GewO vor. „Frau M, bitte zum Diktat“ mag als Beispiel dienen. Solche Weisungen gibt es heute nicht mehr. Vielmehr geben Unternehmer Teile ihrer Funktionen an Gruppen von Arbeitnehmern ab. In der Arbeits- und Organisationspsychologie bedeutet dies, die Belegschaft muss sich in einer neuen Umwelt bewegen. Im Betriebsverfassungsrecht bedeutet dies neben der Veränderungen des § 106 GewO auch eine Veränderung in der Mitwirkung und Mitbestimmung.
Begleiten Sie als Betriebsräte den Veränderungsprozess wachsam – wir zeigen Ihnen wie und geben Ihnen wichtige Instrumente, damit Sie optimal handeln.
Was heißt eigentlich indirekte Steuerung?
Arbeitnehmer werden in Projekten, Projektgruppen oder Teams angewiesen Ziele zu erreichen, Unternehmensfunktionen zu übernehmen und Ressourcenvorgaben einzuhalten. Damit werden sie zu einer teilautonomen Unternehmenseinheit (vergleichbar einem Profitcenter). Diese Einheit kann sich (teilweise) innerhalb des vorgegebenen Rahmens selbst organisieren und Prozesse festlegen, also ihre Arbeit entsprechend des vorgegebenen Rahmens selbst gestalten.
Indirekt sind dabei 2 Elemente:
- Arbeitgeber weiten ihr Weisungs- und Steuerungsrecht aus, indem sie nur noch einen Rahmen für Arbeitnehmergruppen festlegen und
- Die indirekte Steuerung erfolgt für Arbeitnehmer unbewusst, um gruppendynamisch das richtige Ziel zu erreichen.
Vorreiter sind die großen Konzerne wie IBM oder die Deutsche Bahn
Wie immer sind die großen Konzerne Vorreiter bei solchen Veränderungen. An der Spitze steht heute wohl IBM. Dort soll zukünftig eine konzernweite flexible Projektwelt gelebt werden, in der Mitarbeiter sich innerhalb des Konzerns selbständig Projekte suchen und anhand ihrer eigenen Qualifikationen ausgesucht werden. Die so gebildeten Teams bearbeiten sodann autonom das Projekt. Der Rahmen wird konzernweit vereinheitlicht: die Weisung wird ersetzt durch den Projektauftrag an Arbeitnehmergruppen, der Arbeitsvertrag wird ein Konzernstandardarbeitsvertrag und die kollektiven Bestimmungen werden ausschließlich auf Konzernebene geregelt.
Auch die Deutsche Bahn setzt auf indirekte Steuerung – so werden dort seit geraumer Zeit anstelle von Arbeitsanweisungen konzernintern abgestimmte Organisationsanweisungen herausgegeben, die die Bildung von Teams und deren Rahmen vorgeben.
Aber auch der Mittelstand setzt auf die Karte: So wählte ein Hersteller von Motoren als Instrument der indirekten Steuerung die Projektvorgaben durch ein EDV-Programm und ließ so Teams bilden.
Warum machen Arbeitgeber so etwas?
Unternehmer wählen das Instrument der indirekten Steuerung aus unterschiedlichen Motiven. So können Marktvorgaben, die direkt auf die Projektgruppe übertragen werden, unlösbare Schwierigkeiten in der Führungsstruktur und –qualität oder auch eine weitere Leistungsverdichtungskomponente zur Steigerung des Outputs und Gewinns Unternehmen veranlassen, das Modell der Weisung nach § 106 GewO umzustellen. Die indirekte Steuerung lässt sich im Übrigen auch bestens mit der ständig wachsenden Vernetzung und Informationssystemen sowie den bestehenden B2B oder B2C-Prozessen vereinbaren. So wird aus der indirekten Steuerung wie oben gezeigt, eine Organisationsanweisung oder ein B2T (business to team) – Prozess, der in einem Programm hinterlegt ist.
Welche Wissenschaft verbirgt sich dahinter?
Das Modell der indirekten Steuerung hat ihren Ursprung in der Arbeits- und Organisationspsychologie, einem Zweig der Sozialwissenschaften (ein bekannter Wissenschaftler war Kurt Lewin (1890-1947), der bereits zahlreiche Überlegungen zur indirekten Steuerung angestellt hat). Theoretische Grundlage ist die Erkenntnis, dass eine Gruppe nicht aus Menschen, sondern aus Beziehungen besteht. Die Indirekte Steuerung macht sich also diese Beziehungen zu Eigen. So kann der Unternehmer die für ihn positiven Effekte von Gruppendynamiken nutzen: In einer Gruppe sind alle Pioniere, die nun Handlungsmöglichkeiten haben. Nicht mehr der Arbeitgeber, sondern die Gruppe übt Druck auf jedes Mitglied aus. Jedes Mitglied möchte das Projektziel erreichen und stellt eigene Ziele wie Urlaub oder Freizeit zurück. Allein das Erreichen des Teamziels ist ein Erfolg, den Mitarbeiter als wertschätzend empfinden. Dies sind nur einige Beispiele, die den neu geschaffenen Freiraum der arbeitgeberseitigen Weisung verdeutlichen und Ihnen helfen sollen, die Tragweite Ihrer Handlungsoptionen aufzuzeigen. Heute wird die theoretische Aufbereitung geprägt durch die Wissenschaftler Sauer und Peters. Die praktische Anwendung wird verdeutlicht etwa von Siemens und Frenzel: Das unternehmerische Wir, Hamburg, 2. Aufl. 2016.
Wie setzen Unternehmer so etwas um? Woran erkennen Betriebsräte die indirekte Steuerung?
Generell geht der Trend auf der Managementebene dahin, ein Modell der indirekten Steuerung im Betrieb zu etablieren, welches den größten Erfolg sicherstellt. Unternehmen planen daher regelmäßig diese I-Modelle ohne die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern. Betriebsräte sollten daher die wichtigsten Merkmale kennen und die betrieblichen Veränderungen richtig deuten. Typische Merkmale der indirekten Steuerung sind die Erweiterung der Verantwortungs-, Handlungs-, und Entscheidungsspielräume von Teams oder auf der individuellen Ebene verbunden mit der Implementierung von Projektarbeit. Auf der emotionalen Ebene wird das Wir-Gefühl gestärkt. Als Beispiel mag hier der Otto-Konzern dienen, in welchem seit kurzem das „Du“ auch gegenüber dem Vorstand zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls und damit der Motivation propagiert wird. Es werden Matrixorganisationen eingeführt, die eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit ermöglichen. Selbstverständlich gehören auch die Vorgabe von Kennziffern und Benchmarks sowie die Flexibilisierung der Arbeitszeit dazu. Indizien können die Etablierung von Leistungs- und Ergebnisorientierung durch z.B. neue Feedbackprozesse oder erfolgsabhängige Vergütung, aber auch die Standardisierung durch ein transparentes Prozessmanagement oder sogenannte Kompetenzmodelle sein.
Welche Risiken bestehen?
Indirekte Steuerung bedeutet für Mitarbeiter eine unbewusste Fremdsteuerung. Erfolgt eine unkontrollierte und einseitige indirekte Steuerung, drohen sowohl der Ebene Team als auch der Ebene der Teammitarbeiter erhebliche Schäden. Auf der Teamebene droht z.B. die kollektive oder systemische Erschöpfung. Betriebsräte sollten ein geschultes Auge auf den Gesundheitszustand der Teams haben und diese genau analysieren, denn ein erkranktes Team zu heilen bedarf einer erheblichen Therapie. Prävention sollte primäres Ziel der Arbeit von Betriebsräten sein. Dies gilt ebenso auf der Individualebene. Hier sind häufig die Krankheitsbilder der psychischen Belastung, des Restrukturierungssyndroms oder des Burn-Out das Handlungsfeld des Betriebsrates. Wir unterstützen Sie bei den Analysen und setzten gemeinsam mit Ihnen Präventions- oder Therapiekonzepte auf, so dass Mitarbeiter und Teams gesund bleiben/werden.
Ein Wort zum Schluss: bitte achten Sie ebenso auf die Gesundheit des Betriebsrates und der Gremiumsmitglieder – auch dies gehört zu unseren Beratungsleistungen: wir helfen Ihnen, das Gremium fit für die nächste „Generation Steuerung“ zu machen.
Was können Betriebsräte tun?
Haben Sie die Merkmale der indirekten Steuerung im Betrieb identifiziert, gilt es sorgfältig zu handeln, denn eine direkte Mitbestimmung oder Mitwirkung bei der Planung ist wohl nicht gegeben, zumal Arbeitgeber den Ansatzpunkt in § 106 der GewO wählen. Legen Sie zunächst Ihre Ziele zum Wohle der Belegschaft fest. Diese können der Erhalt der Gesundheit oder auch die Gestaltung eines sinnvollen Rahmens, innerhalb dessen Flexibilität ermöglicht wird, sein. Erst dann entwickeln Sie ein Konzept der Zielerreichung im arbeitstäglichen Mitwirken und Mitbestimmen. Denken Sie dabei an die Vielfalt der betroffenen Bereiche: die indirekte Steuerung berührt die soziale Mitbestimmung, die Personalplanung und nicht zuletzt die Mitwirkung in den wirtschaftlichen Angelegenheiten. Da bisher keine Standardkonzepte für Betriebsräte existieren, stehen Sie vor der Herausforderung Pionierarbeit zu leisten. Wir zeigen Ihnen anhand von Praxisbeispielen, wie solche Konzepte erarbeitet werden und beraten Sie in ihrer neuen Funktion als Co-Manager des Unternehmers.